Militär-Humoreske von Viktor Laverrenz
in: „Hagener Zeitung, Beilage Unterhaltungs-Blatt” vom 15.9.1897,
in: „Ohligser Tageblatt”(zugleich Ohligser Zeitung), Sonntags-Anzeiger, vom 10.4.1898
Wenn ich noch an die lustige Zeit zurückdenke, die wir während unserer achtwöchigen Reserveübung in Fürstenwalde verlebten, dann wird mir noch heute ganz wehmütig um das Herz und ein tiefer Seufzer besiegelt meine Reflexion, daß es mit dieser schönen Jugendzeit ein- für allemal vorüber ist.
In Anerkennung meiner militärischen Verdienste war ich, der ehemalige Einjährig-Freiwillige, zum Königlich preußischen Unteroffizier befördert worden und sonnte mich nun in dem erhebenden Bewußtsein, ein „Vorgesetzter” zu sein. Mit welcher Wonne zogen wir die schmucke, nunmehr goldbesetzte Ulanka an und gingen aus, einzig und allein zu dem Zwecke, uns ein bischen grüßen zu lassen. Seitdem wir um Kragen und Aufschläge Tressen hatten, standen wir eine Etage höher in der Menschheit, denn zur Menschheit rechneten wir nur das, was Uniform trug. Die anderen Menschen waren eben keine Menschen, es waren nur Zivilisten.
Manchen lustigen Streich haben wir Reservisten bei dem flotten Ulanen-Regiment ausgeheckt, aber am schönsten war doch unsere Wallfahrt nach Frankfurt a. O., wohin die drei in Fürstenwalde liegenden Schwadronen kommandiert waren, um mit den beiden Frankfurter Schwadronen gemeinsam das Regimentsexerzieren abzuhalten. Von dieser Frankfurter Fahrt will ich eine kleine Episode erzählen.
Als wir in Frankfurt eingerückt waren, wurden wir nicht nur von den Regimentskameraden, sondern auch von den Kameraden der Dragoner und Artillerie hoch aufgenommen. Es wurde eine allgemeine Verbrüderung gefeiert, gerade als wenn die Franzosen den Russen in Kronstadt einen Besuch machen. Meistens blieb zwar alles innerhalb der Chargen, die Leutnants verkehrten mit den Leutnants, die Reserve-Unteroffiziere mit den Reserve-Unteroffizieren und die Einjährigen mit den Einjährigen, aber es herrschte hier ein so gemütlicher Ton, daß es ein Offizier nicht für eine Schande ansah, auch mit einem Reservisten oder Einjährig-Freiwilligen freundschaftlich zu verkehren. Die Einjährigen und Reservisten waren sogar zum großen Teil des Verkehrs mit ihren Vorgesetzten im Kasino gewürdigt worden und da schliffen sich denn die Unterschiede zwischen den Vorgesetzten und Untergebenen, die natürlich im Dienst durchaus aufrecht erhalten wurden, im geselligen Verkehr ziemlich bedeutend ab.
Zur Feier unseres Einzuges in die Garnison, welche uns nun 14 Tage lang zur Heimat dienen sollte, hatte das Offizierkorps der Artillerie ein Liebesmahl veranstaltet, zu welchem auch die Offiziere und die kasinofähigen Unteroffiziere und Einjährigen also die sogenannten Offizieraspiranten, der Ulanen und Dragoner geladen waren. Welch' eine bunte Gesellschaft wimmelte da in den eleganten, aber für so viele Gäste doch etwas engen Räumen umher. Fast waren die Unterschiede zwischen hoch und niedrig verwischt, die Herren Offiziere verkehrten mit den Untergebenen, als ob diese ihnen militärisch ebenbürtig seien und tranken ihnen bei Tische sehr häufig zu. Es schien beinahe, als ob sich die Herren Offiziere vorgenommen hätten, die Einjährigen unter den Tisch zu trinken, denn es ist Sitte, daß der niedriger Stehende dem Vorgesetzten nachkommt, wenn dieser ihm zutrinkt und zwar, um zu beweisen, daß er die hohe Ehre, die ihm widerfahren, zu würdigen wisse, mit einem möglichst tiefen Zug.
Zu unserem Leidwesen gab es Grogk. Sollte dies aus Sparsamkeitsrücksichten geschehen sein? Oder nur der Originalität wegen; denn eigentlich ist es doch ungewöhnlich, im Anfange des Sommers Grogk zu trinken. Genug, es gab welchen. Ueber die Herkunft desselben hatten wir keine Nachforschungen anzustellen, sondern lediglich Bescheid zu thun, wenn wir „angeprostet” wurden. Grogk ist ein unheimliches Getränk; es steigt schnell zu Kopfe und wenn man nun gar immer auf Kommando trinken muß, dann geht es mit dem Molumwerden um so schneller. Es dauerte auch gar nicht lange, da hatten wir alle einen in der Krone sitzen.
Als nun die älteren Herren sich empfohlen hatten, da ging die Kneiperei erst recht los und es schien von den führenden Geistern darauf angelegt zu sein, am nächsten Morgen einen impertinenten Brummschädel zu haben.
Ich fühlte bald, daß es genug sei, wenn ich mich nicht hier vor aller Welt unsterblich lächerlich machen wollte und verständigte mich mit meinem Freunde, dem Einjährigen Brause, über ein meuchlerisches Verschwinden; wir hatten es wahrgenommen, daß sich schon der eine oder der andere aus dieser immer mehr sich zur Orgie auswachsenden Gesellschaft gedrückt hatte und so beschlossen wir denn, desgleichen zu thun.
Schon in dem kühleren Korridor merkte ich, wie sich die Müdigkeit mit Gewalt auf meinen Körper legte. Ich war regelrecht angesäuselt und auch Brauses Reden hatten etwas Lallendes an sich. Himmel, hing da eine Fülle von Paletots, Säbeln Helmen und Chapkas. Mir wars, als wollten die leeren Hullen einen Rundtanz um mich herum aufführen. Ich nahm alle meine Kräfte zusammen, suchte und fand meinen Mantel und ließ mir von der Ordonnanz hineinhelfen. Dieselbe Manipulation hatte Brause inzwischen gemacht und so schoben wir denn beide sorgenlos in die Welt hinaus.
Ich war zwar Unteroffizier und mein Freund war erst Gefreiter, aber das hinderte uns nicht daran, uns gegenseitig unterzuärmeln und in ausgelassenster Stimmung die dunklen Straßen der Dammthor-Vorstadt im wahren Sinne des Wortes entlang zu wanken. Es herrschte ein bischen Regenstimmung und das feine fallende Naß kühlte uns angenehm die heißen Schläfen.
Natürlich stand es bei uns fest, daß wir „noch lange nicht” nach Hause gingen. Der Weg sollte uns erst noch ins Café führen, damit wir durch eine Schale Schwarz die Rumwirkung in unserm Magen paralysieren konnten.
Wir gingen also über den Roßmarkt und die alte hölzerne Oderbrücke nach der Altstadt, wo wir uns in dem von uns vielbesuchten Café niederließen. Der Kellner legte uns einige illustrierte Zeitschriften und Witzblätter hin, nach denen wir mechanisch griffen, um sie oberflächlich zu durchblättenn. Lust zum Lesen hatten wir beide nicht, ebenso wenig allerdings zum Erzählen, dazu waren wir zu müde.
Gedankenlos sah ich über die „Fliegenden Blätter,” welche ich zufällig vor mir hatte, hinweg nach Brause hinüber, als mein Blick durch irgend etwas an ihm gefesselt wurde. Ich wußte nicht sogleich, was es war, aber etwas fiel mir an ihm auf.
„Na,” sagte Brause nach einiger Zeit, „was stierst Du mich denn so an?”
Ich antwortete nicht sogleich, denn ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Dann machte ich (ich war ja als Unteroffizier eigentlich sein Vorgesetzter) ein wohlwollendes Gesicht und sagte: „Weißt Du, Einjähriger, Du gefällst mir. Siehst recht patent aus.”
„Nanu, höre mal,” erwiderte mein Frund,„das klingt ja beinahe beleidigend. Sehe ich denn sonst nicht patent aus?”
„Ja und nein,” erwiderte ich, um mich aus der Klemme zu ziehen. „Du hast heute ganz was besonderes Patentes an Dir. Du siehst aus — aus — weißt Du wie? — wie'n Offizier!”
Mein Kamerad brach in schallendes Gelächter aus. „Na ist nur gut, daß Du das findest, denn Offizier will ich ja werden, wenigstens Reserve.”
Ich hatte zuerst mit gelacht; dann wurde ich plötzlich ernst, denn ich hatte eine Entdeckung gemacht. Brause hatte nämlich wirklich und wahrhaftig einen Offiziers-Paletot an, worauf wir beide bisher nicht geachtet hatten. Da nun die Einjährigen-Czapkas bei den Ulanen fast genau so aussehen, wie die Offiziers-Czapkas, so war die Täuschung vollkommen. Als ich Brause darauf aufmerksam machte, wollte er es zuerst gar nicht glauben; dann überzeugte er sich aber sehr schnell von der Wahrheit meiner Behauptung und bekam einen ziemlich heftigen Schreck. Zweifellos hatte er in seinem etwas vorgeschrittenen Zustand im Korridor des Artillerie-Kasinos seinen Mantel mit dem eines Offiziers verwechselt.
Nun war guter Rat teuer. Hier konnte nur eilige Flucht retten, denn es war hundert gegen eins zu wetten, daß in diesem einzigen fashionablen Café noch einige Offiziere ihren Nachttrunk einnehmen würden. Kurz entschlossen riefen wir nach dem Kellner, aber so laut wir auch unser „Jean zahln” ertönen ließen, der Kerl ließ sich nicht blicken.
Da öffnete sich die Thür und — wir wären beinahe vor Schreck von den Stühlen gefallen, herein trat ein Hauptmann von der Artillerie, der als er uns da am Tisch sitzen sah, direkt auf uns los steuerte. Uns lief es eiskalt über den Rücken. Wir schnellten empor und standen wie die Kerzen, Brause natürlich absolut nicht in der Rolle, wie sie der Paletot verlangt hätte; aber der Hauptmann schien darauf nicht zu achten. Er drückte dem Einjährigen, den er seiner Kleidung nach für einen Offizier halten mußte, freundschaftlich die Hand und begrüßte mich, der ich doch militärisch mehr war als mein Kamerad zwar auch freundlich, aber doch viel nachlässiger.
Er bat uns, Platz zu behalten und uns seinetwegen nicht zu derangieren. Zum Glück bemerkten wir bald, daß er auch einen Kleinen weg hatte. Wir beide waren durch die Situation so überrascht, daß wir völlig ratlos dasaßen. Brause trat mir ab und zu auf die Zehen und blinkte mit den Augen, als wenn er sich geheimnisvollerweise einen Rat von mir holen wollte; aber, du mein Himmel, ich wußte selber nicht, was man in dieser verteufelten Lage thun sollte. Ich war Egoist genug, ganz in meinem Innern dem Schöpfer zu danken, daß meine Uniform wenigstens in Ordnung war und so heuchelte ich denn dem Kameraden gegenüber eine ganz unbefangene Miene und that, als ob ich ihn absolut nicht verstände.
Ein paarmal kam es mir so vor, als wollte er aufstehen und den ganzen Irrtum dem Vorgesetzten melden, dann kniff ich ihn aber schleunigst in die linke Wade, er fluchte ein unterdrücktes „Au!” und blieb sitzen.
Der Hauptmann hatte sich inzwischen einen Schlummerpunsch geben lassen. Mein Gott mußte der Mensch (Pardon, Herr Hauptmann) einen Magen haben, nach dieser Kneiperei im Kasino noch Schlummerpunsch zu trinken. Er erzählte uns im übrigen fortwährend von allerlei Personalverhältnissen in Frankfurt a. O., die uns weder etwas angingen, noch uns das geringste Interesse verursachten. Auch über die Pferdeverhältnisse wurden wir auf das genaueste eingeweiht.
Die Nase des Herrn Hauptmanns nahm eine immer intensivere Kupferfarbe an und seine grauen Soldatenaugen mit dem scharfen, stechenden Blick quollen immer mehr aus dem Kopfe heraus. Obgleich er sich mit uns auf das liebenswürdigste unterhielt, mußte es für einen unbeteiligten Zuschauer, der die Worte, welche gesprochen wurden, nicht hörte, doch den Eindruck machen, als wollte er uns jede Minute mit Haut und Haar auffressen.
Schließlich gewöhnten wir uns an die Situation; Brause schien es schon gar nicht mehr aufzufallen, daß er fortwährend von dem Hauptmann mit „Herr Leutnant” tituliert wurde, wenigstens hatten seit einiger Zeit die Versuche meine Zehen zu ergattern oder mir heimlich unter dem Tisch einen Stoß zu versetzen, aufgehört.
Da öffnete sich noch einmal die Thür und herein trat ein Einjähriger Artillerist. Dieser erwies sich als ungeheuer frei und that überhaupt ziemlich kordial. Dem Brause schüttelte er ebenfalls lebhaft die Hand; ich, der ich doch auch mehr als der Einjährige war, mußte mich mit einem flüchtigen äußerst herablassenden Gruß begnügen. Der Artillerist trug ein Monocle und hatte überhaupt ein dermaßen affektiertes Wesen an sich, daß ein Gardeleutnant kaum hätte Schritt mit ihm halten können.
Die Garnisonverhältnisse mußten doch in Frankfurt a. O.. ganz eigentümlicher Natur sein. Manchmal kam es mir vor, als wär ich überhaupt nicht mehr so recht munter, sondern die Phantasie spielte mir einen Streich. Der Traumzustand schien sich sogar noch mehr zuspitzen zu sollen, denn plötzlich hörte ich den Hauptmann zu dem Einjährigen sagen:
„Aber lieber Graf, wie sehen Sie denn aus? Wollen wohl ein bischen Fastnacht spielen, Maskenball gehen, was? Haben ja einen Einjährigen-Paletot an?”
„Herr Hauptmann, nein,” erwiderte der Graf. „Aber denken sich Herr Hauptmann mein Pech; komme da aus Kasino, als letzter natürlich, will meinen Paletot nehmen, aber — Teufel — alle Paletots radikal weg. Nur ein Einjährigen-Paletot noch da. Hat der Schafskopf meinen Mantel mitgenommen.”
Ich zuckte bei dieser Erklärung zusammen und bemerkte, daß Brause käseweiß geworden war. Der Leutnant in dem Einjährigenmantel aber fuhr fort:
„Na, ich dachte, bei Nacht sind alle Katzen grau und ziehe den Mantel an. Was sollte ich machen, kann doch bei dem Wetter nicht ohne Mantel jehn, kann doch kein Mensch verlangen, noch dazu dämlichen Einjährigen wejen.” Ich konnte es mir nicht versagen, meinem Kameraden einen kräftigen Rippenstoß zu geben, der Brause so unvermutet traf, daß er dem Herrn Hauptman halb auf den Schoß fiel. Zum Glück waren wir alle so überaus heiter gestimmt, daß dieses Vorkommnis gar nicht mehr auffiel; mit einer Entschuldigung war alles abgethan.
Uebrigens nahm der Hauptmann die Sache mit dem Paletot doch von der ernsteren Seite und bedeutete dem Leutnant, daß es denn doch nicht anginge, daß ein Offizier mit einem Einjährigen-Mantel herumliefe. Was sollten die anderen Herren davon denken, z. B. der anwesende Kamerad von den Ulanen.
Mit dem anwesenden Kameraden von den Ulanen war niemand anders gemeint, als der Einjährige Brause, der nun dem Artillerie-Leutnant mit dessen eigenem Paletot gegenüber saß und vor lauter Angst nicht wußte, wie er auf dem Stuhl sitzen sollte.
Der Leutnant sah wohl ein, daß der Hauptmann nicht so ganz Unrecht hatte, aber er wandte doch schüchtern ein:
„Herr Hauptmann, ich kann doch aber unmöglich bei dem Schwei — — äh, pardon, bei dem Wetter ohne Mantel herumlaufen; verderbe ich mir ja meinen guten Waffenrock total.
Dies sah nun der Hauptmann wieder seinerseits ein und man sann hin und her, was man in diesem schwierigen Fall wohl beginnen könne. Da bekam der Leutnant auf einmal einen Gedanken.
„Herr Hauptmann, ich habs, ich schneide die Achselklappen runter. Das Kameel, das die Paletots verwechselt hat, braucht sich nicht darüber zu wundern, warum ist der Kerl so dämlich.”
Und ohne ein Wort der Erwiderung abzuwarten, zog er den Mantel aus, nahm sein Taschenmesser hervor und trennte — ritz - ratz — die Achselklappen von dem Mantel Brauses, der diesem Manöver mit außerordentlich gemischten Gefühlen zusah.
„So,” sagte der Leutnant, indem er den Paletot wieder anzog und die Achselklappen in die Tasche steckte; „nu is der Leutnant komplett.”
Bei der heiteren Stimmung, in der man sich infolge des voraufgegangenen Liebesmahles befand, wurde die schneidertechnische Manipulation des Grafen herzlichst belacht, nur Brause machte eine ziemlich sauersüße Miene, als er die Zierden jedes Einjährigen, die schönen schwarzweißen Schnüre verschwinden sah und hören mußte, mit welchen ehrenvollen Titeln er bedacht wurde. Gleichwohl ließ er alles kalt lächelnd geschehen, immer in der beständigen Angst, daß jeden Augenblick die Entdeckung eintreten konnte.
Aber noch eine andere sehr unerquickliche Seite hatte der Fall. Wenn es ihm wirklich gelang, für heute abend unendeckt zu bleiben, wie sollte er wieder zu seinem Mantel kommen? Und auch der Leutnant mußte doch schließlich seinen Paletot wieder haben. Herauskommen mußte also die Sache auf jeden Fall und was dann für eine Strafe ihn dafür treffen würde, daß er den Leutnant gespielt habe, noch dazu in Gegenwart von Vorgesetzten, das wußten nur die Götter und allenfalls die Militär-Strasprozeßordnung.
Ich sah den Kameraden bleicher und bleicher werden; der Angstschweiß trat ihm deutlich auf die Stirn und ich bemerkte es wohl, daß er jede Minute mit dem Entschluß kämpfte, aufzustehen und den Vorfall zu melden. In einer so heiklen Lage nun den Leutnant herauszubeißen und wenigstens äußerlich eine verbindlich lächelnde Miene aufzusetzen, dazu gehörte ein Heroismus, der mich immer mehr in Bewunderung versetzte. Mein Streben ging nun dahin, unter allen Umständen eine Entdeckung für den heutigen Abend zu vermeiden und so oft der Kamerad mir verdächtig wurde, selbstdenunziatorische Pläne zu hegen, hielt ich ihn durch Fußtritte und Rippenstöße davon ab.
Der Graf war inzwischen in eine Spendierlaune gekommen und hatte den Hauptmann um die Erlaubnis gebeten, eine Lage Schlummerpunsch geben zu dürfen. Der Hauptmann hatte natürlich nichts dagegen und so wurde denn eine Lage nach der anderen geschmettert, bis wir alle so molum waren, daß wir überhaupt kaum noch aus den Augen sehen konnten. Gäste waren außer uns schon lange nicht mehr im Lokal anwesend und so waren wir denn völlig unter uns.
Der Artillerieleutnant gehörte zu den Leuten, die wenn sie etwas getrunken haben, ihren Zechgenossen die Brüderschaft anzubieten pflegen und so sah er sich auch heute nach einem Opfer umsah, dem Herrn Hauptmann als seinem Vorgesetzten durfte er damit natürlich nicht kommen; mich, den Unteroffizier, konnte er anständigerweise auch nicht auffordern, blieb also nur Brause. Diesen attackierte er denn auch mit der Schneidigkeit eines Soldaten und ehe fünf Minuten verstrichen waren, hatten sich der Graf und der Einjährige den Bruderkuß gegeben.
Mir war dermaßen lächerlich zu Mute, daß ich jetzt den Kitzel nicht unterdrücken konnte. Natürlich durfte ich es nicht merken lassen, daß es das Lachen war, welches mich überfiel; ich heuchelte also den erprobten Hustenanfall, der dann auch, wie schon so oft, seine Dienste that. Brause erzählte mir dann später, daß er geglaubt habe, er soll erwürgt werden, als der Leutnant ihm den Bruderkuß anbot.
Zum Glück konnte es der Hauptmann nicht länger aushalten; es zeigten sich bei ihm alle Symptome der Seekrankheit und da er außerordentlich hastig zum Aufbruch drängte, so folgten wir drei anderen seinem Beispiel. Der Graf zahlte die ganze Zeche, der Hauptmann verschwand, von bösen Geistern getrieben und wir verließen das Lokal, der Leutnant mit Brause untergefaßt, ich als schnöder Unteroffizier hinterdrein, ich ritt so zu sagen als „Schließender.”
Der Weg wurde mir und meinem Kameraden zur Tortur und wir atmeten erleichtert auf, als wir den punschseligen Grafen, der den Einjährigen beim Abschied stürmisch umarmt und einmal über das andere Bruderherz genannt hatte, in seiner Wohnung abgegeben hatten. Nun folgte für uns beide der Katzenjammer in seiner schrecklichsten Gestalt. Jetzt hieß es, über Nacht Rat schaffen, wie Brause aus dieser fürchterlichen Verwicklung möglichst ohne Schaden herausgeschält werden könnte. Natürlich überhäufte er mich zunächst mit allerhand Vorwürfen und that so, als ob ich der Veranlasser zu der schnöden Affäre gewesen sei. Schließlich verbat ich mir eine solche Insinuation denn doch und sagte ihm ins Gesicht, der Leutnant habe ganz Recht, wenn er gesagt habe, Brause sei ein Kamel; warum verwechselte er die Paletots?
Das schmetterte den Aermsten so nieder, daß er muckstille wurde. Er legte sich nun aufs Bitten und bat mich um Gotteswillen, ich möchte ihm doch nur um Christi Barmherzigkeit willen einen Rat geben. Dazu war ich ja herzlich gern bereit, aber erst mußte ich doch selbst einen haben. Ich überlegte. Stumm, einem Denker gleich, schritt ich durch die nächtlichen regenfeuchten Straßen der Dammthor-Vorstadt; Brause wagte nicht, mich zu stören und ich fühlte es gewissermaßen, wie seine Augen von der Seite an meinen Lippen hingen. Endlich glaubte ich einen Ausweg gefunden zu haben.
„Hör mal, Brause, hast Du Courage?” fragte ich.
„Das ist eine merkwürdide Frage! Ich bin doch Ulan.”
„Ja, aber hierzu gehört eine ganz besondere Art von Courage; man nennts auf gut deutsch; Frechheit!”
„Frechheit?”
„Nun ja, meinetwegen sage Unverschämtheit.”
„Das klingt nicht sehr verlockend” meinte Brause, „denn beides besitze ich nicht, aber schieße mal los.”
„Na,” sagte ich, „der Graf ist doch jetzt Dein Duzbruder — —”
Brause sah mich erschreckt an.
„Du gehst also einfach morgen hin” fuhr ich fort, „und sagst: Lieber Graf, ich habe gestern einen faulen Witz mit Deinem Paletot gemacht; hier bring ich ihn Dir wieder.”
Mein Kamerad glaubte zunächst, ich machte meinerseits einen faulen Witz. Ich meinte es aber ganz ernst und es ist schließlich auch so ähnlich geworden.
Brause suchte den Leutnant am anderen Tage auf, legte ein offenes Geständnis ab und bat wegen der Vertauschung des Mantels um Entschuldigung. Der Graf hatte seinerseits keine Ursache, irgendwie Aufhebens von der Geschichte zu machen; denn in nüchternem Zustande war ihm die Sache von den abgeschnittenen Achselklappen mit den schönen zoologischen Begleitworten, deren er sich bedient hatte, keineswegs sehr angenehm und mit der Duzbrüderschaft hatte er sich doch sterblich blamiert. Natürlich sprach keiner der beiden auch nur ein einziges Wort von derselben; man ignorierte sie völlig.
Der Hauptmann hat von der ganzen Affäre nie etwas erfahren; jedenfalls war er an jenem Abend auch in einem solchen Stadium gewesen, daß er sich auf die Einzelheiten nicht mehr so recht besinnen konnte.
Nach vierzehn Tagen strammen Exerzierens rückten wir von Frankfurt wieder ab nach unserm geliebten Fürstenwalde. Brause lebte erst völlig wieder auf. als wir in unsere alte Garnison zurückgekehrt waren. Dann aber sprachen wir noch oft von unserem sidelen Kasino-Abend in Frankfurt an der Oder.
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